Donnerstag, der 6. Juni 2024
Wer früh aufbricht ist auch zeitig da. Eine für uns bisher völlig ungewöhnliche Abfahrtszeit, 7.00 Uhr am Morgen! Das brachte den Vorteil, dass wir dank der ersten Fähre bereits gegen 10.00 in Bodø Havn anlegten. Odin hatten wir diesmal im Trollexpress gelassen. Nach kurzem Meckern seinerseits ergab er sich in sein Schicksal und suchte sich ein bequemes Plätzchen mit Aussicht und ohne meckernden Kapitän. Wie wir es gewohnt waren, verabschiedeten uns die Lofoten mit herrlich blauem Himmel und Bilderbuchwölkchen. So genossen wir einen großen Teil der Zeit auf Deck. Wir wollten keine Sekunde des abermals herrlichen Panoramablickes verpassen. Leider endete die 3-stündige Überfahrt mit einem bewölkten Himmel.
Der Ausblick auf die Hafengegend und das im Vergleich zu den Lofoten völlig unspektakuläre Hinterland Bodøs brachten uns auf den Boden der Tatsachen zurück.
An jedem Punkt der Reise wären mit Sicherheit weitere sehenswerte Dinge zu finden gewesen. Alle zu besuchen und alle Stationen akribisch "abzuarbeiten, hätte dazu geführt, dass wir heute noch nicht wieder zu Hause wären. So nahmen wir Bodø als eine sehr geschäftige, moderne Stadt wahr, die mit ihren rund 43.300 Menschen, fast auf die gleiche Einwohnerzahl, wie unsere "Provinzhauptstadt" Eisenach kommt. Für Nordnorwegen durchaus schon ein größerer Ort. Für Deutschland wohl eher eine Kleinstadt. Geschichtlich steht Eisenach allerding auf sehr hohem Niveau, was nicht zuletzt auf die Wartburg und die Zeit, in der der Reformator Martin Luther dort wirkte, zurückzuführen ist.
Bodø dagegen punktet trotz seiner überschaubaren Größe eher durch seine heutige wirtschaftliche Bedeutung für Nordnorwegen. Die Stadt ist wichtiger Verkehrsknotenpunkt auf dem Weg in den Norden, Zwischenstation der Hurtigruten und Ausgangspunkt vieler Fährverbindungen zu den vorgelagerten Inseln und den Lofoten. Bodø ist Universitätsstadt. Sicher sehr interessant wäre eine Besichtigung des Domes gewesen, in dem eine Orgel des Bautzener Orgelbauers Hermann Eule zu bestaunen ist. Zudem war die Stadt 2024, also während unserer Durchreise, neben Bad Ischgl und Tartu in Estland, eine von drei Europäischen Kulturhauptstädten. Also mehr als genug Gründe, um einige Tage zu verweilen und den Ort genauer kennenzulernen. Für uns blieb es nur bei der Durchfahrt auf der Suche nach dem Weg zum Saltstraumen, der nur etwa 30 km südöstlich gelegen ist. Dank einiger Irreführung unseres Navigationssystems gurkten wir jedoch eine ganze Weile in ähnlicher, aber doch falscher Richtung herum. Anstatt auf dem hier beginnenden, legendären Kystriksveien zu landen, kamen wir zu weit nach Osten ab und verirrten uns auf der E80, die ins Landesinnere führt. Es wurde Mittag, bis die in unser Navi eingebaute Brieftaube die richtige Richtung geschnallt hatte und den Trollexpress wieder zielgenau lotste. Ein glücklicher Umstand dieser kleinen Verzögerung war allerdings, dass wir zeitlich punktgenau den großen Gezeitenstrom unter der Saltstraumenbrücke erwischen durften.
Ohne vorher recherchiert zu haben, erlebten wir die Ausfahrt der Touristenboote, die sich immer dann auf den Weg machen, wenn sich das meiste Wasser durch den größten Malstrom der Erde zwängt.
Pro Gezeitenwechsel sind das beachtliche 400 Millionen Kubikmeter. Wir haben von der Brücke aus mitgezählt. Es stimmt so ungefähr 🧐! Gut, es waren nur 398, aber das kann ja auch wetterabhängig sein, wenn´s z.B. regnet 😂!
Von der Brücke aus konnten wir einen Angler beobachten, dem der heilige Petrus, Schutzpatron der Fischer und später Apostel bei Jesus Christus, offenbar sehr wohl gesonnen war. Jedenfalls zog dieser ein Fischlein nach dem anderen aus den tosenden Fluten. Zwar war kein Blauwal dabei, aber die Ausbeute war trotzdem recht ansehnlich. Ich hätte wetten können, dass es ein norwegischer Angelprofi war, der da im Gegensatz zu allen anderen, vom Ufer aus Angelnden, so viel Fangglück hatte. Als wir schließlich zurück zum Troll liefen, trafen wir den Glückspilz persönlich. Es war ein Schwabe, der uns bereitwillig einen Fisch aus seinem Fang schenkte. Er hatte bemerkt, dass wir aus dem Osten kamen und der Spruch: Wir hatten doch nüscht, war ihm sozusagen noch in frischer Erinnerung. Erstens brauchte er so einen der feuchten Gesellen weniger auszunehmen und außerdem konnte er so sparen, weil er einen Fisch weniger braten musste. Damit sparte es wiederum Gas. So sinn´se halt die Schwaben 🤣. Der Fisch war übrigens ein Pollack oder eine Köhler, was weder seine Herkunft aus Polen beschreibt noch darauf hindeutet, dass er sich in seiner Freizeit mit der Herstellung von Holzkohle beschäftigt 😝. Das weidgerecht zerlegte Tier hat uns am Abend ein fürstliches Mahl beschert und wir danken dem edlen, schwäbischen Spender im Nachhinein von ganzem Herzen.
Ohne es besonders zu beachten sind wir auf dem Fv17 (Fylkesvei 17) der legendären Küstenstraße von Bodø nach Steinkjer unterwegs. Diese Straße führt abseits der viel befahrenen Europastraße 6 durch beeindruckende Küstenlandschaften und zahlreiche Tunnel. Man benötigt ganze 6 Fähren, will man die gesamte, 650 km lange Strecke bis nach Steinkjer im Süden absolvieren. Von schlauen Reisehandbüchern wird unbedingt geraten, diese Strecke bei schönem Wetter zu fahren. Was anderswo sicher genauso gilt, bekommt jedoch auf dieser Route tatsächlich noch einmal doppelte Bedeutung. Diese Erfahrung dürfen wir an den kommenden Tagen eindrucksvoll selber machen und geben den eigentlich banalen Rat natürlich gerne weiter.
Am Ende des Tages landen wir jedenfalls auf dem kleinen und sehr rustikalen Campingplatz am Kjellingstraumen.
Wiederum ein Platz direkt am Wasser, wie der Name schon sagt, am Kjellingstraumen gelegen. Der Besitzer scheint ein gesundheitlich sehr mitgenommener, trotzdem aber freundlicher, älterer Herr zu sein. Er managt alles vom Sessel seines Wohnzimmers aus und überlässt uns das Finden eines schönen Plätzchens selbst. Das Wetter ist an diesem Abend nicht so prickelnd. Wir braten unseren geschenkten Fisch, beten kurz für den edlen Spender und machen noch einen kurzen Erkundungsgang über den Platz. Er ist rustikal, sehr rustikal. Die Ausstattung erinnert etwas an die Zeit von Michel und den Kindern aus Bullerbü. Eigentlich suchen wir gerade solche Plätzchen. Luxus und jede erdenkliche Besonderheit, spielen dabei für und kaum eine Rolle. Es muss auch nicht alles glatt gemäht und hochordentlich aufgeräumt sein. Wichtig ist, dass man beim Spazierengehen nicht in Nägel tritt und beim Besuch der Toiletten und Duschen uns aus deren Ritzen keine Tiere entgegenspringen, die größer als Feldhasen sind.
Lustigerweise treffen wir hier unserer "Moldawier", Wolfgang und Gisela, aus dem schönen Märkischen Oderland wieder, denen wir zuvor bereits auf den Lofoten begegnet waren. Nicht genug dieser beiden, war da auch noch das junge Pärchen mit ihrem Baby auf großer Nordlandtour, denen wir ebenfalls schon einmal begegnet waren. Auf Grund des nicht so guten Wetters hatten diese allerdings mit Ihrem PickUp mit Dachzelt einige Probleme alles warm und trocken für ihre kleine Mitfahrerin zu bekommen. Trotzdem hatten wir großen Respekt vor den beiden. So eine prägende Zeit im Leben eines kleinen Menschen in dieser Form zu verbringen ist besonders und unserer Meinung nach auch vom Risiko her durchaus kalkulierbar. Viel zu viele kleine und heranwachsende Menschen werden heutzutage vor jedem, auch noch so kleinem Risiko bewahrt. Heraus kommen nicht selten verhätschelte und vertätschelte, emotionale Krüppelchen, die bei geringsten Anforderungen zusammenbrechen und sich unter dem Rock von Mama oder Papa verkriechen. Damals auf Katthult ist Michel aus Lönneberga, wie auch die Jungs und Mädels aus Kälberfeld grundsätzlich ohne Integralhelm und Protektorjacke Schlitten gefahren und.....wir haben fast alle überlebt.
Noch am Abend wollte ich einem gelegentlich auftretenden Geräusch aus Motornähe auf den Grund gehen. Kurz nach dem Anlassen des Motors drang ein Quietschen an mein Ohr, dessen Ursache ich in einem beschädigten Lager der Keilriemenspannrolle vermutete. Später wusste ich, der Motor hat gar keine Spannrolle. Der Keilriemen wird durch die Lichtmaschine selbst gespannt.
Naja, ich war halt Uhrmacher und habe während meiner Zeit als Gefreiter in der Nationalen Volksarmee (EK 80/II 🙈) lediglich einen W50LA/A gefahren. Das es heute ein Mercedes-LKW ist, hätte ich damals nicht zu träumen gewagt. Um auf das dubiose Geräusch zurückzukommen; es verflüchtigte sich nach kurzen Motorlauf wieder und ich hatte daher keine Lust, ohne große Not alles Mögliche auseinander zu bauen. Einmal mehr gebrauchte ich den Spruch: Solang es quietscht, ist´s noch da. Wäre ich Hellseher gewesen, hätte ich vielleicht anders gehandelt. Am darauffolgenden Morgen wollten wir eigentlich nochmal angeln gehen. Unser Nachbar Gerd, der gemeinsam mit seiner Frau Beate, wenn ich mich recht erinnere aus Dietzenbach, kam gerade vom Wasser und riet dringend davon ab, hier zu angeln. "Viel zu viel Kraut und zu flach. Aber solltet ihr auf eurem weiteren Weg nach Süden mal in der Nähe von Kristiansund vorbeikommen, dann müsst ihr unbedingt auf den Campingplatz Skermsik vorbeischauen". Gerd beschrieb den Platz, die Leute dort und die Möglichkeiten zu Angeln überschwänglich. Ich schrieb den Namen auf, hatte ihn aber völlig falsch verstanden und brachte zu allem Übel den Zettel wenige Tage späten natürlich auch noch weg. Naja, da kommen wir sowieso vermutlich nie vorbei.
Freitag, der 7. Juni 2024
Der letzte Tag der Woche begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein. Wir freuen uns für die junge Familie, denn so können sie Ihre Ausrüstung trocknen. Wir verabschieden uns vom von allen neuen Bekannten und vom Campingplatzopa und machen uns kurz nach Mittag auf den Weg. Auch Odin wirft noch einen letzten Blick auf die Kjellingstraumenbrücke und kurze Zeit später folgen wir weiter dem Kystriksveien.
Natürlich glücklicherweise bei Sonne. Nebenbei auch mit wunderbar weißen Wölkchen garniert.
Auch auf dieser Route begegnen wir immer wieder spektakulären Aussichten und Rastplätzen, die nicht naturbezogener angelegt werden könnten. Noch immer befinden wir uns oberhalb des Polarkreises. Um uns herum ein Nationalpark nach dem anderen. Die Fv17 lenkt uns über Ørnes und Glomfort in Richtung des Swartisen Nationalparks.
Der Kystriksveien wird zugleich zum Idre Holandsfjordveien (Innerer Holandsfjordweg) und bietet Aussichten, die nicht beeindruckender sein können. Mitten im Holandsfjord finden wir auf der Insel Furøy einen weiteren unbeschreiblichen Campingplatz. Nicht ganz leer, aber trotzdem entspannend.
Ein unbeschreiblicher Blick auf das gegenüberliegende Svartissen-Massiv. Einfach nur nordisch perfekt und immer noch knapp oberhalb des Polarkreises. Und wer kommt da des Weges? Wir trauen unseren Augen kaum. Wolfgang und Gisela aus "Moldawien".
Samstag, der 8. Juni 2024
Mit den E-Bikes auf Tour.
Ausflug zur Fähre zum Svartisen
Radtour zum Svartisen und "Wanderung" zum Gletscher
Traumwetter, Traumwetter, Traumwetter
Wir bleiben noch einen Tag auf Furøy Camping
Schon bei unserer Ankunft lernen wir die freundlichen Betreiber des Platzes kennen. Der Chef geht mit uns herum und gemeinsam finden wir einen hervorragenden Stellplatz in erster Reihe mit Panoramablick auf den Fjord, die Fähre und den gegenüberliegende Svartisen Nationalpark.
Um uns etwas mehr mit der Gegend vertraut zu machen, recherchieren wir über das Gletschergebiet und stoßen dabei auf interessante Fakten. Mit 370 km² ist der Svartisen nach dem ..... der zweitgrößte Gletscher Norwegens und hat über 60 Gletscherarme. Das Gebiet liegt knapp oberhalb des Polarkreises. Er besteht im Kern aus den beiden Hauptgletschern, dem Østisen und dem Vestisen. Noch um das Jahr 1900 reichte der Gletscherarm des Østisen bis in den Gletschersee Svartisenvatnet hinein. 45 Jahre später betrug der Abstand bereits rund 1000 Meter. In den folgenden Jahren kam es zu vielen Veränderungen der Gletscherzungen. Die spektakulärste war dabei wohl der Abbruch des unteren Teiles im Juli 1982. Der Gletscher kann sowohl von Mo i Rana aus erreichte werden, von wo aus eine Straße zum Svartisvatnet führt.
Eine zweite Möglichkeit zum Gletscher zu gelangen, besteht wenige Kilometer von Furöy, von Holandsvika aus. Südwestlich von Halsa findet man ein kleines Fährboot, welches einige Male am Tag zur gegenüberliegenden Seite des Fjordarmes fährt. Dort angekommen, liegen noch etwa 2 km, bestens ausgebauter Wanderweg bis zum Svartisensee vor dem Entdecker. Dann geht es teilweise steil bergauf. Der Aufstieg bis zur Gletscherzunge sollte bei gutem Wetter etwa 1 Stunde dauern.
So sollte es nun auch geschehen, denn mit dem E-Bike zu einem Gletscher, das hatten wir noch nie gemacht. Das Wetter war, wie immer auf unserer Reise, auch an diesem Sonntag wieder 100% auf unserer Seite. Da wir jedoch auch an diesem Samstag etwas herumgebummelt hatten und der Weg zur kleinen Fähre unerwartet lange dauerte, waren wir erst gegen 13.00 Uhr dort. Die Überfahrt war auch mit Fahrrad und Hundeanhänger problemlos möglich. Die Aussichten, die sich während der Fahrt über den See und hin zum Gletscher eröffnen, waren spektakulär.
Wasser, Himmel und die weiße Gletscherzunge bilden einen Hintergrund, den man so schnell nicht vergisst. Was uns allerdings erst bei Erreichen der gegenüberliegenden Seite klar wurde, war die Tatsache, dass wir eigentlich recht spät dran waren. Die letzte Fähre zurück ging nämlich 17.00 Uhr zurück. Jetzt war es schon halb Zwei. In zweieinhalb Stunden zum Gletscher und zurück? Da war keine Zeit zu verschenken. Unser Glück waren die E-Bikes mit deren Hilfe wir flott unterwegs waren.
Allerdings endete die Fahrstrecke erwartungsgemäß am letzten "Fahrradparkplatz". Von hier aus sollte es nun 2 km zu Fuß weitergehen. Als "leichter Aufstieg" war der letzte Teil des Weges ausgewiesen. Verrückterweise kamen uns Wolfgang und Gisela entgegen, die die Tour einige Zeit früher in Angriff genommen hatten und mittlerweile schon wieder auf dem Rückweg waren. Beiden war die Anstrengung des Abstieges deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie erklärten uns, dass der Weg von hier aus eine echte Herausforderung sei, und gaben uns einige Tipps, die ein Verlaufen den Berg hinauf verhindern sollten. Also auf ging´s.
Am wenigsten Probleme hatte unser Odin mit seinem 4PD (Pfotendrife). Conny, gut trainiert durch die täglichen Hundegänge hatte ebenfalls kein Problem. Als der Lahme der Wandergruppe mit reduzierter Herzleistung musste ich mich selber feststellen. Aber der Gletscher zog unaufhaltbar. Außerdem wollte ich meinen Kardiologen nach Rückkehr unbedingt deren Theorie widerlegen, dass ich ohne Defi keine Spaß an der Tour werde haben können. Schade jedoch, dass wir so unter Zeitdruck standen, denn kämen wir nach 17.00Uhr zur Fähre, könnten wir nur schwimmen.
Es war 16.00 Uhr als wir den direkten Blick zur Gletscherzunge erwischten. Kurz freuen, staunen und selbstverständlich fotografieren.
Zum Genießen und Verweilen, war leider keine Zeit mehr. Noch 60 Minuten bis zur letzten Fährabfahrt. Also im Sprint zurück. Eigentlich schade aber nun mal nicht zu ändern. Wir hätten halt eine Fähre früher da sein sollen. Ein Grund nochmal her zu kommen, um es dann besser zu machen. Schließlich waren wir 3 Minuten nach Fünf wieder am Abfahrtspunkt unseres Bootchens angelangt.
Eigentlich hätte es zur letzten Rückfahrt schonwieder ablegen müssen. Anscheinend hat man da aber so seine Erfahrungen gesammelt und legt lieber etwas später ab, um den letzten Nachzüglern eine Nacht auf der Parkbank zu ersparen. Die Gnadenfrist endet dann 13 Minuten nach fünf und es kommen tatsächlich noch zwei, drei Leute, die die Ruhe weghaben. Zurück geht ein wehmutsvoller Blick. Toll war´s. Nur die Zeit, die hätte mehr sein sollen.
Da wir zum Ranchieren mit unseren Fahrrädern, dem Hundeanhänger und Odin selbst etwas mehr Zeit brauchen würden, warteten wir, am Anleger angekommen geduldig, bis alle Passagiere vor uns von Bord gegangen waren.
Erst dann gehen wir von Bord. Conny zuerst mit Odin an der Schnappleine. Ich hinterher mit Rad und Hundeanhänger am Haken meines E-Bikes. Und da passiert es:
Was wir beide nicht gesehen hatten, war, dass um die Kurve eine französische Bulldogge an der Leine seines Frauchens saß. Wenn Odin auch der freundlichste Hund aller Zeiten ist, aber bei französischen Bulldoggen jeglicher Größe dreht er komplett durch. So leider auch in diesem Fall. Er stürmt sofort auf das bedauernswerte Tier los und kläfft ihn, als gäbe es kein morgen mehr, unfreundlich und bedrohlich an. Die Schnappleine rollt sich dabei, schneller als Conny reagieren kann, natürlich komplett aus und die Widersacher haben freie Bahn. So leid uns das auch tat, wir konnten es so schnell nicht verhindern. Sofort sprang der kuriose Partner der Bulldoggenbesitzerin hinzu und riss Odin mit roher Gewalt an der Leine. Ich schrie ihm laut und vernehmlich "Stopp"
entgegen. Was den Helden aber nur noch wilder machte. Er, von der Statur eines Arnold Schwarzeneggers und von Kopf bis Fuß in eine Art Kampfanzug gekleidet, rannte brüllen auf mich zu. Offenbar fest entschlossen, um an mir seine Kampfkünste auszuprobieren.
*In diesem Moment verlor ich ebenfalls die Lust, mich zu entschuldigen, sondern gelangte recht schnell zum Entschluss, dem auf athemnähe vor mir tobenden Mini-Tarzan seine Grenzen zu zeigen. Mein kurzer, in klarem Englisch geäußerter Warnhinweis, dass ich Gefreiter der Reserve und ehemaliger Kampfschwimmer der Nationalen Volksarmee der DDR bin, schien ihn nicht zu beeindrucken. Vielleichte hatte es schlichtweg auch nicht verstanden. Als ich ihn beiseiteschieben wollte, tickte er völlig aus und ich sah unmissverständlich nur noch seine Faust in meine Richtung fliegen. Es reichte allerdings ein kleiner Schritt beiseite und sie landete an einer verdammt harten, nach außen gerichteten Winkelstahlkante des Fährbootes. Das Geräusch von brechenden Fingerknochen erschrak mich zwar in ersten Moment, letztendlich dachte ich aber: "Somit hat es sich schneller erledigt, als gedacht." Weit gefehlt. Tarzan machte einige Schritte zurück, um sich seine zertrümmerte und nicht unerheblich blutende Hand anzuschauen. Er schüttelt sich kurz, rast aber sofort wieder unbeeindruckt auf mich zu, um mir offenbar im zweiten Anlauf seine Kräfte zu zeigen. So in Rage, übersah er leider die Metallschwelle am Boden und den kleinen Ölfleck dahinter, der ihm ohne jegliches zutun meinerseits die Beine unter dem Hintern wegzieht. Er landete derart ungebremst auf dem Rücken, dass es ihm für etliche Sekunden die Luft nahm und er nur mühsam wieder zu sich fand. Auch hier hätte ich wieder wetten können, dass es das damit war.
Weit gefehlt. Mit einiger Mühe kam Spargeltarzan wieder zum Stehen, um offenbar seinen dritten Angriff zu starten. Er griff sich unvermittelt an seinen hinteren Hosenbund und zog dort ein nicht unbedeutend langes Messer heraus. Der Kapitän der Fähre, der alles bisher Geschehene mitverfolgt hatte, machte sich spätestens jetzt doch einige Sorgen um mich. Er warf mir zur Verteidigung eine etwa 1 Meter lange Eisenstange zu. Ich fing sie auf, wollte aber eigentlich keinen Schaden damit anrichten. Ich bedankte mich herzlich bei ihm, warf sie aber vorsichtshalber hinter mich. Tarzan taumelte mit dem Messer in seiner zuvor zertrümmerten Hand auf mich zu. Eine solche Situation hatten wir während unserer Ausbildung bei der NVA jedoch gefühlte 100mal geprobt und so flog das Messer schneller als mein Widersacher schauen konnte, durch die Luft und landete, für ihn unerreichbar im Fjord. Dem Kapitän war zwischenzeitlich vor Schreck das Blut aus den Wangen gewichen und er stand kreidebleich und starr da. "Arnold" oder "Tarzan" oder wie wir ihn nennen wollen, hatte aber auch damit offenbar noch nicht genug und ergriff die zuvor mir zugedachte Eisenstange. Ein erneuter Anlauf ließ nichts Gutes erwarten. Mit lautem Gebrüll und erhobener Stange war er schonwieder in meine Richtung unterwegs. Seine Kraft war anscheinend ungebrochen, leider jedoch auch sein Schwung, was zur Folge hatte, dass wiederum ein kleiner Schritt von mir zur Seite ausreichte, um ihn über die Reling ins etwa 10 Grad warme Fjordwasser zu befördern. Dumm nur, dass es von Oberkante Reling bis zur Wasseroberfläche komfortable 3 Meter waren. Dumm auch, dass die letzte Eiszeit es für schön befunden hat, genau an Tarzans Aufschlagstelle, etwa 10 cm unter der Wasseroberfläche einen wunderbaren Findling liegenzulassen, mit dem unser Freund Sekunden nach seinem unabsichtlichen Verlassen der Fähre Bekanntschaft machen durfte. Das war´s dann nun wirklich. Eine gebrochene Hand, ein furchtbar geprellter Rücken, vermutlich mit Gehirnerschütterung und einige gebrochene Rippen waren das Resultat von nicht mehr als zwei Minuten von der ersten Aufregung bis Kampfunfähigkeit. Conny und Odin hatten den Vorfall im Zutrauen auf meine Reaktionen und meine Gelassenheit vom Anleger aus zugesehen. Auch der Kapitän bekam wieder Farbe ins Gesicht. Ich hatte, außer einmal kurz nach rechts und nach links auszuweichen, eigentlich nichts getan. Hätte unser Freund Englisch verstanden und sich im Vorfeld nur einmal kurz über die Grundausbildung bei der NVA informiert, wäre alles nicht nötig gewesen. So aber kroch er am Ende völlig demoliert und klatschnass aus dem Fjord und suchte zusammen mit seiner plattnasigen Bulldogge und deren Frauchen gebückt das Gelände. Odin bellte den dreien noch ein kurzes: "Mit uns legt man sich nicht an!" nach, um sich danach schwanzwedelnd bei mir für meinen Einsatz zu seiner Verteidigung zu bedanken.
(Habt ihr das kleine * in Text entdeckt? Von da aus war alles erstunken und erlogen. Lediglich die Begegnung mit Spargeltarzan war real, verlief aber auf Grund dessen, dass dieser offenbar mehr schien als er war, mehr oder weniger im Sande. Oder vielleicht hatte er doch im Stillen gedacht: "Na hoffentlich lege ich mich hier nicht mit einem NVA-Veteranen an!)
Sonntag, der 9. Juni 2024
Am Morgen begrüßt uns wieder einmal absolutes Gute-Laune-Wetter.
Obwohl Odin an "normalen Tagen" nicht selten bis 10.00 Uhr auf seinem Schlummerplätzchen warm, windgeschützt und mit bester Aussicht im Troll zubringt, ist er heute überraschend früh dran und genießt bereits kurz nach halb neun draußen die wärmende Morgensonne auf seinem Lieblingsliegestuhl.
Die Fähre zieht schon einige Stunden ihre Bahnen und soll auch für uns heute zur Weiterreise dienen.
Wir genießen ein letztes Mal ein entspanntes Frühstück oberhalb des Polarkreises, denn heute werden wir den Polarkreis wieder Richtung Süden überfahren.
Der Norden hat uns seit vielen Tagen in seinen Bann gezogen. Wer der Meinung ist, dass es in dieser dünn besiedelten und spärlich bis gar nicht bewachsenen Region langweilig wäre, setzt falsche Maßstäbe. Was erwartet man im hohen Norden? Action, Spektakuläres, jeden Tag Highlights? Sicher nicht. Wer das sucht, sollte sich in die entgegengesetzte Himmelsrichtung aufmachen. So ein konstant phänomenales Wetter, wie wir es fast auf unserer gesamten Reise erleben durften, kann man nicht voraussetzten. Im Gegenteil. In Wirklichkeit erlebten wir eine seltene Ausnahme. Man könnte es auf den Klimawandel schieben. Aber genau wie in unseren Breiten ist das Wetter mal so und mal so. Man kann hier alle vier Jahreszeiten an einem Tag erleben. Wird nicht selten durch mehrere Tage lang anhaltenden Dauerregen ausgebremst. Sturm, wolkenverhangener Himmel, ungemütlichen Temperaturen können genau so Begleiter sein, wie strahlender Sonnenschein und blauer Himmel. Auch der schnelle Wechsel zwischen allen Wetterphänomänen, ist eine Umstand, mit dem man auf einer Reise ans nördliche Ende unseres Kontinentes rechnen muss. Da passiert es schnell, dass man die gute Laune verliert. Der Besuch des Nordkaps wird dann schonmal zu einer Pflichtvisite. Schnell hoch, schnell hin, schnell weg und schnell wieder Richtung Süden. Beinahe hätten wir uns diese "Fluchtversion" auch zu eigen gemacht, wie ich bereits das eine oder das andere Mal beschrieben habe. Am Ende haben wir uns aber doch einigermaßen komfortabel Zeit gelassen. Das spiegelte sich weniger in der Zeit wieder, die wir an ein und demselben Ort verbracht haben. Vielmehr waren es die vielen Stationen, die wir besuchten. Er waren die Umwege, die wir genommen und in vielen Fällen auch bewusst gesucht haben. Es waren die Strecken abseits der ausgefahrenen Wege, die am Ende das Salz in der Suppe ausmachten. Wir durften mit Freude erleben, dass unser Trollexpress für diese Art des Reisens ein tolles Fahrzeug war. Mancher mag sagen: "Zu groß, zu schwer, zu unbeweglich." Am Ende kommt es jedoch darauf an, dass man sich mit dem, was man da im Verlauf von fast 4 Jahre auf die Räder gestellt hat, auch identifizieren kann. Viel Herzblut ist in unser Fahrzeug geflossen. Wer sich nicht komplett planlos an ein solches Projekt heran macht, hat sich meist schon früh, sinnigerweise vor Anschaffung des Basisfahrzeuges, Gedanken darüber gemacht, wo die Reise, im wahrsten Sinne des Wortes, hingehen soll. Manche brauchen Luxus, wieder andere machen sich unglaublich spartanisch auf den Weg. Am Ende muss jeder nach seinen Vorstellungen und seiner Facon glücklich werden. Unser Trollexpress ist weder luxuriös noch spartanisch. Auf Grund der vielen Stunden, die wir in seinen Bau investiert haben, sind wir mit einer Art "gutem Freund" unterwegs, der mit seinen gut 32 Jahren immer wieder sein Bestes gibt. Er wurde noch in einer Zeit gebaut, in der den bleibenden Werten und der Langlebigkeit der Dinge große Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Heute geht es eher um den schnellen Wandel. Das neuerdings sehr häufig beanspruchte Wort "Nachhaltigkeit" wird in jedem auch nur denkbaren Sinn verdreht und beschreibt eher die gute Recycelbarkeit als eine lange Nutzungsdauer. Der Spruch: "Was lange hält, bringt uns kein Geld." steht auch bei vermeintlich hochwertigen Dingen aktuell viel zu oft über der bis vor Kurzem so begehrten, deutschen Wertarbeit.
Bei unserem Ausbau nahmen wir diese solide Substanz als Basis. Nachhaltigkeit entsteht, indem einem als Feuerwehr ausgedienten Fahrzeug ein neues, zweites Leben eingehaucht wird. Die Alternative wäre die Verschrottung der oben schon benannten, soliden Substanz gewesen.
Heute genießen wir an Bord so etwas wie Hüttenflair. Innen auf Gemütlichkeit ausgerichtet, mit Zirbenholz und Bambus gestaltet. Außen farbenfroh und freundlich. Der Natur angepasst. Auffällig zum einen. Jedoch bestens getarnt vordem Hintergrund von Bergen und Wäldern. Wer unsere fahrende Wohnung das erste Mal betritt, dem fällt ein wohltuender Geruch auf. Das Holz der Zirbe, auch Königin der Berge genannt, verströmt seine ätherischen Düfte im ganzen Raum. Eine Berghütte auf Rädern. Die Ausstattung unempfindlich. Alles da, was man zum Wohlfühlen auf einer langen Reise braucht. Große Fenster. Technisch für (fast) alle Eventualitäten vorbereitet. Zugegeben, für den einen oder anderen aus der Nähe auch etwas bedrohlich wirkend. Trotzdem flexibel. Kein Teil für´s schwere Gelände, aber Hand aufs Herz, wir planen weder eine Fahrt durch das Pantanal, noch wollen wir in Botswana damit durch die Sümpfe pflügen. So hat alles seine Grenzen und sein Einsatzgebiet. Auch in Skandinavien kann man sich festfahren. Am Ende ist es die Entscheidung der Besatzung, wie weit man geht und welche Kosten man für die Anreise eines Bergepanzers im Reisebudget eingeplant hat. Schließlich darf man nicht vergessen: "Da, wo du dich mit einem Allrader festfährst, kommt meist auch kein Abschlepper hin, um dich wieder herausrauszuziehen!"
Der eher lustig gemeinte Leitspruch auf unseren T-Shirts und Jacken: "Allrad statt Rollator" soll uns dabei immer selbst ein wenig auf die Schippe nehmen, uns an unsere Grenzen erinnern.
Die Erinnerung an diese Grenzen ist es auch, die uns nicht vergessen lässt, dass wir doch irgendwann einmal wieder zu Hause ankommen müssen. Schließlich haben wir unser Haus nicht verkauft und unser Grundstück nicht verpachtet.